Die Einführung des § 362 Nr. 5 Strafprozessordnung im Jahr 2021 war umstritten. Dieser hatte zum Inhalt, dass eine Wiederaufnahme eines Strafprozesses auch nach bereits erfolgtem Freispruch dann erfolgen kann, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches) verurteilt wird.
Konkret bedeutet dies, dass sich bis 2021 ein z.B. wegen Mordes Angeklagter nach einem Freispruch sicher sein konnte, dass ihm kein erneuter Prozess droht, auch wenn neue Beweise (z.B. DNA) gefunden wurden. Diese Sachlage sollte mit Einführung des § 362 Nr. 5 Strafprozessordnung geändert werden.
Das Bundesverfassungsgericht hält diese Vorschrift allerdings für verfassungswidrig und stellte fest, dass § 362 Nr. 5 StPO gegen Art. 103 Abs. 3 GG (Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden) verstößt. In dem streitgegenständlichen Fall verstoße § 362 Nr. 5 StPO weiterhin gegen das Rückwirkungsverbot, da Fälle betroffen waren, in welchem zum Zeitpunkt des Freispruchs § 362 Nr. 5 StPO noch nicht normiert war. Art. 103 Abs. 3 GG verbiete dem Gesetzgeber die Regelung der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zum Nachteil des Grundrechtsträgers aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dürfen Freigesprochene darauf vertrauen, dass die Rechtskraft des Freispruchs nur aufgrund der zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft geltenden Rechtslage durchbrochen werden kann. Der Grundsatz „ne bis in idem“ erkennt die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in ein freisprechendes Strafurteil an und Art. 103 Abs. 3 GG verleiht diesem Vertrauensschutz Verfassungsrang.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts v. 31.10.2023, Az. 2 BvR 900/22